Nach eineinhalb Jahren des digitalen Studierens sind für das kommende Wintersemester erstmalig Besserungen und die Möglichkeit zu der Rückkehr zur “Normalität” zu erkennen. Trotzdem wird auch dieses Semester weiterhin von der allgemeinen Pandemieentwicklung abhängen. Wie bereits in den drei vorherigen Semestern [1] [2] [3] stellt die LAK Bayern als Zusammenschluss aller bayerischen Studierendenvertretungen mit diesem Beschluss die wichtigsten Forderungen und Anliegen der Studierenden zur Ausgestaltung des Wintersemesters vor und entwirft mögliche Perspektiven für die Hochschulen.
2‑Stufen-Plan
Als Landesstudierendenvertretung blicken auch wir hoffnungsvoll auf die fallenden Inzidenzwerte und sehnen uns nach einem Semester in Präsenz. Nichtsdestotrotz befindet sich das gesellschaftliche sowie auch im Speziellen das hochschulpolitische Leben in einem Ausnahmezustand. Es gibt verschiedene Punkte, die das Studium und das studentische Leben massiv beeinträchtigen. Die Rückkehr an den Campus ist für viele Studierende keine Rückkehr, sondern ein erstmaliges Ankommen. Zu den Orientierungsphasen der Studierenden kommen auch die hohen organisatorischen Anforderungen an die einzelnen Hochschulen, wenn sie ihren Studierenden im Oktober wieder die Türen öffnen wollen. Dazu kommen noch Schwierigkeiten bei Präsenzvorlesungen für Studierende, die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht geimpft sind oder die aufgrund von privaten Risikokontakten keine Präsenzveranstaltungen besuchen können. Auch ist die Pandemie an den Studierenden nicht spurlos vorübergezogen. Viele Studierende kämpfen auch bei niedrigen Inzidenzwerten mit psychischen und finanziellen Folgen, die erst nach und nach bewältigt werden können. Kurzum, das Wintersemester 2021/22 wird ein Semester im Ausnahmezustand. Nur folgerichtig ist es daher, dieses Semester auch als solches zu behandeln. Daher fordern wir die Verlängerung der individuellen Regelstudienzeit und aller regelstudienzeit- und fachsemestergebundenen Regeltermine und Fristen um ein Semester für alle Studierenden in Bayern. Um auch zukünftigen Krisen sicher entgegenzusteuern, schlagen wir außerdem einen neuen Artikel im Bayerischen Hochschulgesetz vor, der ebendiese Verlängerungen automatisch in Ausnahmezuständen einführt.
Ein Präsenzsemester an bayerischen Hochschulen kann nur mit einem verantwortungsvollen Umgang mit dem Infektionsrisiko vor Ort und gleichbleibend niedrigen Inzidenzwerten durchgeführt werden. Wir schlagen daher vor mit einem 2‑Stufen-Plan in dieses Wintersemester zu gehen. Dieser beinhaltet je nach Infektionsgeschehen unterschiedliche Maßnahmen und Vorgaben, wie lokal auf Veränderungen bei den Inzidenzwerten reagiert werden muss. Dieser zweistufige Plan bedeutet zum einen größere Planungssicherheit sowohl für die Studierenden als auch für Dozierende und Mitarbeiter*innen aber auch größere Entscheidungsfreiheiten für die einzelnen Hochschulen.
Kurz gesagt: Wir schlagen einheitliche Rahmenlinien für die Szenarien lokal niedriges Infektionsgeschehen und lokal hohes Infektionsgeschehen für alle bayerischen Hochschulen vor, die an den einzelnen Hochschulen je nach örtlicher Gegebenheit und Kapazität angepasst werden können.
Stufe A
Niedrige Inzidenzwerte und damit verbunden ein niedriges Infektionsgeschehen sollen den Hochschulen Raum für einen geregelten und verantwortungsbewussten Präsenzlehrbetrieb ermöglichen. Vor allem Studierende im ersten Semester und Studierende, die aufgrund von Corona noch nie die Möglichkeit hatten, Lehre am Campus zu erhalten, sollten bevorzugt von Anfang an Präsenzveranstaltungen besuchen und sich so mit Kommiliton*innen und Dozierenden vernetzen und austauschen können. Priorisiert werden sollen generell Lehrveranstaltungen mit hohem Interaktivitätsanteil, wie z.B. Übungen, Praktika, Seminare und Projektarbeiten. Ebenso sollte der Zugang zu Lehrstühlen und Instituten für Schreibende von Abschlussarbeiten erleichtert werden. Die Kapazitäten für Lern- und Arbeitsräume sollten dabei deutlich ausgeweitet werden, um Studierenden am Campus den Wechsel von einer Präsenz- zu einer digitalen Veranstaltung zu ermöglichen. Die maximale Zahl an Teilnehmenden für eine Veranstaltung soll anhand des gültigen Hygienekonzepts ermittelt werden und somit auch abhängig vom Veranstaltungsraum sein. Wenn die Anzahl an erwarteten Teilnehmenden die maximal erlaubte Zahl übersteigt, muss diese Veranstaltung entweder hybrid oder digital stattfinden.
Studiengänge mit einer hohen Quote an internationalen Studierenden, müssen aufgrund verschiedener Einreiseregelungen weiterhin digital studierbar sein. Dabei soll aber auf größtmögliche Präsenzanteile für die Studierenden vor Ort geachtet werden.
Solange das Pandemiegeschehen weiter andauert, haben auch die Hochschulen dafür Sorge zu tragen das Infektionsgeschehen vor Ort möglichst gering zu halten. Daher sollen grundsätzlich nur Personen an Veranstaltungen teilnehmen dürfen, die das Kriterium “3G” erfüllen. Das heißt, alle Personen, die an Veranstaltungen teilnehmen wollen, müssen geimpft, genesen oder getestet sein. Die Überprüfung der Einhaltung der “3Gs” liegt dabei in der freien Handhabung der Hochschule und kann z.B. durch eine digitale Abfrage an den Eingängen der Hochschule mittels QR-Codes oder durch beauftragte Sicherheitskräfte direkt am Campus erfolgen. Ob an den Plätzen in Vorlesungsräumen, Lernräumen oder Lesesälen der Bibliotheken eine FFP2-Maskenpflicht gilt, soll von der Einhaltung von Abständen und den Inzidenzzahlen vor Ort abhängig gemacht werden. Kann eine Hochschule in bestimmten Räumen einen Abstand von 1,5 m nicht einhalten, so greift die FFP2-Maskenpflicht. Kann die Hochschule die Abstände einhalten, kann eine FFP2-Maske am Platz auch abgenommen werde. In jedem Fall sollen die Abstände zwischen den Teilnehmenden einer Veranstaltung möglichst groß gehalten werden. Für Bereiche außerhalb der Vorlesungsräume, Lernräume, Lesesäle und weiteren kontrollierbaren Bereichen muss es bei einer bestimmten Inzidenzzahl vor Ort eine FFP2-Maskenpflicht geben. Im Freien kann die Maskenpflicht entfallen. Außerdem soll jede Hochschule ein eigenes Hygienekonzept erstellen, in der unter anderem beschrieben werden soll, wie besonders risikoreiche Situationen, wie Menschenanhäufungen, vermieden werden können.
Für den Austausch unter Studierenden sind nicht nur Präsenzveranstaltungen notwendig, sondern auch die Möglichkeiten der Interaktion oder des gemeinsamen Gangs in die Mensen. Deshalb sollen die Studierendenwerke Unterstützung erhalten, auch im Wintersemester möglichst viele Essensplätze anzubieten, z.B. durch die Verwendung zusätzlicher staatlicher oder kommunaler Räumlichkeiten.
Stufe B
Sollte sich das Infektionsgeschehen unerwarteter Weise wieder sehr stark ins Negative entwickeln, ist selbstverständlich auch für den Schutz der bayerischen Studierenden zu sorgen. So ist zusätzlich zu den unter den in Stufe A genannten Voraussetzungen für einen Präsenzlehrbetrieb an den bayerischen Hochschulen zwingend ein Mindestabstand von 1,50 m zwischen den Teilnehmenden an Präsenzveranstaltungen sowie eine FFP2-Maskenpflicht vorzusehen. Außerdem sollte dann auch wieder vermehrt auf kontaktlose Prüfungen gesetzt werden. Dadurch kann es an einigen Hochschulen nötig sein, den vorwiegenden Präsenzbetrieb wieder teilweise oder ganz in den digitalen Raum zu verlagern, da z.B. die räumlichen Kapazitäten für eine geringe Auslastung nicht vorhanden sind. Außerdem sollten hier, ähnlich Stufe A, die Kapazitäten für Lern- und Arbeitsräume ausgeweitet werden. Sollte dies der Fall sein, ist es sehr wichtig, dass die Studierenden auch weiterhin gut und verlässlich planen können. Daher fordern wir die Hochschulen auf, den Studierenden bei einer Rückkehr aus der Präsenz in den digitalen Raum einen Fahrplan mitzugeben, wie generell weiter verfahren werden soll. Dazu wären aus unserer Sicht folgende zwei Wege möglich: Digitale Studierbarkeit bis zum Ende des Semesters zusichern oder einen Stichtag nennen, an den die Studierenden darüber informiert werden, wann wieder in die Präsenz zurückgekehrt werden kann. Dies ist dann aber mit einer Vorlaufzeit von mindestens zwei Wochen zu versehen. Außerdem ist darauf zu achten, dass zwingend stattfindende Präsenzelemente – wie zum Beispiel musische, künstlerische und sportliche Tätigkeiten, praktische Lehrveranstaltungen oder Laborpraktika – unter ausreichenden Schutzvorkehrungen durchgeführt werden können.
Impfungen
Essenziell für ein sicheres Semester in Präsenz – und für die Pandemiebekämpfung im Allgemeinen – ist eine sehr hohe Impfquote unter den Studierenden. Grundsätzlich begrüßen wir die Entwicklungen an dieser Stelle und weisen darauf hin, dass nun vermehrt an Hochschulen erwägt wird, Studierende direkt an den Hochschulen impfen zu lassen. Nach Monaten der Zurückhaltung, Solidarität und Geduld der bayerischen Studierenden ist es an der Zeit, dass diese auch die Möglichkeit bekommen geimpft zu werden und so ein sicheres Semester mit weitgehender Präsenz zu gewährleisten. Deswegen fordern wir, dass Studierende spätestens sechs Wochen vor dem Beginn ihres Semesters ein Impfangebot bekommen haben müssen. So kann sichergestellt werden, dass Studierende vor oder früh im Semester vollständig geimpft sind und kein besonderer Aufwand für Testungen entsteht. Nichtsdestoweniger werden für Studierende, die noch kein Impfangebot bekommen haben oder sich nicht impfen lassen wollen oder können auch im kommenden Semester kostenlose Selbsttests benötigt werden. Daher ist auch weiterhin eine Finanzierung dieser Selbsttests durch den Freistaat Bayern nötig, um die Sicherheit am Campus zu gewährleisten zu können.
Psychische und finanzielle Auswirkung
An dieser Stelle soll jedoch auch angemerkt werden, dass selbst bei einem baldigen Ende der Pandemie die Spätfolgen dieser noch einiges an Aufwand, Zeit und Geld bedeuten werden. Viele junge Studierende werden weiterhin aktiv an ihrer Hochschule integriert werden müssen oder müssen Wissenslücken schließen. Auch für Studierende in höheren Semestern sind die psychischen Belastungen und finanziellen Folgen nicht zeitgleich mit der Pandemie vorbei. Deswegen ist es gerade jetzt wichtig, bedürftige Studierende mit staatlichen Hilfsangeboten zu unterstützen und die psychologische Betreuung der Studierenden weiter auszubauen und zu fördern. Dazu schlagen wir einen Sonderfonds für die Studierendenwerke zum Ausbau der psychologischen Beratung für die Laufzeit von mindestens einem Jahr vor.
Die Studienberatungsangebote müssen zumindest temporär deutlich ausgebaut werden, um abgehängte Studierende einzufangen und den Studienfortschritt nicht zu gefährden. Dabei ist es auch sinnvoll, Studierende mit geringem Studienfortschritt in den letzten drei Semestern zu kontaktieren und eine Beratung anzubieten. Auch hier kann ein Sonderfonds hilfreich sein.
Um die finanziellen Folgen der Pandemie abzumildern, wurde unter anderem der Zinssatz für den kfw-Studienkredit bis zum 31.12.2021 auf 0% gesenkt. Auch wenn die Studierenden in einem gut laufenden Wintersemester wieder die Möglichkeit haben, Nebenjobs aufzunehmen, waren viele Studierende durch die Coronapandemie gezwungen, sich zu verschulden. Schließlich hatten vor der Pandemie ca. 68% der Studierenden einen Nebenjob, und einem guten Teil von ihnen ist dieser plötzlich weggebrochen [4,5]. Dass zum 01.01.2022 auf diese unverschuldete Schuldenlast wieder ein 4% Zinsen über ganze zehn Jahre [6] zu zahlen ist, ist für uns unverständlich und entgegen dem Ziel, auch Studierende in der Pandemie zu entlasten. Wir fordern daher, dass alle während der Pandemie aufgenommenen Studienkredite für die Rückzahlung zinsfrei bleiben. Auch sollte die Überbrückungshilfe des BMBF entbürokratisiert und bis zum Ende des Wintersemesters verlängert werden.
Insgesamt betrachtet muss es auch für das kommende Wintersemester wieder landesweit einheitliche Rahmenbedingungen geben, da die Auswirkungen der laufenden Pandemie an alle bayerischen Hochschulen gleichermaßen zu spüren sind. Dennoch sind auch weiterhin die einzelnen Hochschulen gefragt, die die vorgegebenen Rahmenbedingungen mit eigenen passgenauen Konzepten und Plänen sinnvoll nach den vorherrschenden örtlichen Gegebenheiten ergänzen sollen. Der von uns vorgeschlagene 2‑Stufenplan erfüllt in unseren Augen die Anforderungen an ein bayerisches Rahmenkonzept und gibt einzelnen Hochschulen gleichzeitig Spielraum für die eigenen Ausgestaltungen.
[2] https://www.lak.bayern/2020/11/15/ausgestaltung-des-wintersemesters-2020–21/
Position
Landes-ASten-Konferenz Bayern
c/o Studierendenvertretung der LMU
Leopoldstraße 15
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